Boeing B-17 – der dornenreiche Weg der »fliegenden Festungen«

Am 17. August 1942 dringen erstmals Boeing B-17 E in feindliches Territorium ein. Zwölf viermotorige Bomber der 97th Bombardement Group (oder „Bomb Group“, BG) fliegen die Eisenbahnanlagen von Rouen-Sotteville an. Die Formation wird von Brigade-General Ira Eaker persönlich angeführt und von britischen Jagdflugzeugen des Typs Supermarine „Spitfire“ gedeckt.

Die britischen Spitfire-Abfangjäger können die US-Bomber bei Luftangriffen gegen Ziele im französischen Hinterland oder in Deutschland selbst jedoch nur auf einem Teil ihres Einfluges beschützen. Die amerikanischen Begleitjäger der Modelle P-47 „Thunderbolt“ und P-38 „Lightning“ haben zwar als designierte, bewusst für Langstrecken-Begleitschutzmissionen konstruierte Eskort-Jäger eine höhere Reichweite, stehen aber erst in geringer Anzahl zur Verfügung und benötigen noch einiges an technischen Verbesserungen, bis sie ihrer Aufgabe voll gewachsen sind.

Hinter dem deutschen Grenzgebiet müssen die „Fliegenden Boeing-B-17-Festungen“ (Flying Fortress) daher zu diesem Zeitpunkt noch ohne ihre „kleinen Freunde“ auskommen und sind zur Abwehr deutscher Jagdflieger auf sich selbst gestellt. Die Kommandeure der 8. US-Luftflotte hoffen und erwarten dabei, dass das massierte Abwehrfeuer der dicht gruppierten schwer bewaffneten Bomber mit bis zu 13 schweren 12,7-mm-Maschinengewehren (MGs) pro Boeing B-17-F-Bomber, das summiert sich auf 234 MGs pro „Combat Box“ (Formation aus 18 Bombern, viele solcher Formationen bilden den Bomberstrom), bei Einflügen tief nach Deutschland genügen würde, um die deutschen Jäger-Piloten abzuschrecken und auf Distanz zu halten.

Tut es nicht! Weder die Führung der US-Streitkräfte noch die der britischen Royal Air Force (RAF) hat mit einem derartig grimmigen Widerstand der deutschen Luftwaffe gerechnet, mit welchem sie dann tatsächlich während des Krieges fast bis zum letzten Tag der Auseinandersetzung konfrontiert wird.

Am 27. Januar 1943 wagt die 306th BG den ersten Angriff auf deutschen Boden und bombardiert Wilhelmshaven. Frontalangriffe der deutschen Messerschmitt Bf 109 und Focke-Wulf Fw 190 Abfangjäger fordern ihren Tribut. Trotzdem sind die Kommandeure der 8th USAAF immer noch angenehm überrascht über die „geringen“ Verluste, welche deutlich unter der 10%-Rate liegen, welche als akzeptabel angesehen wird. Die Bomberbesatzungen haben verständlicherweise ihre eigenen Ansichten darüber, wie „akzeptabel“ diese Verlustrate ist!

Die Kommandoebene hatte den Besatzungen 25 Einsätze als Ziel gesetzt, danach dürfen sie nach Hause zurückkehren. Dennoch ist die Moral der Crews extrem angeschlagen, denn 80%der Bomber werden von den Deutschen abgeschossen, bevor sie 25 Einsätze überstanden haben. Die erste Boeing B-17-Crew, welche 25 Feindflüge überlebt, ist die Besatzung der Boeing B-17 F-25-BO N° 41-24577 „Hell’s Angels“ VK D der 358th Bomb Squadron/303rd Bomb Group unter Captain Irl Baldwin, welche am 13. Mai 1943 glücklich ihr „Soll“ erfüllt hat. Sie wird dicht gefolgt von einer Boeing B-17 F-10-BO mit der Produktionsnummer 41-24485 aus der 324th Bomb Squadron/91st Bomb Group. Die wesentlich bekanntere „Memphis Belle“ DF A unter Captain Robert K. Morgan erreicht den Abschluss ihrer 25-Einsätze-Tour sechs Tage später am 19. Mai 1943. Fünfmal wird dieser Boeing B-17 ein Teil der Motoren in Brand geschossen, einmal kommt sie mit fast abgeschossenem Heckleitwerk zurück.

Ab Mai 1943 steigen die Verluste der Amerikaner. Es sind nun etwa 600 Boeing B-17 F in England. Die deutsche Luftwaffe besitzt Anfang 1943 an allen Fronten zusammen gerade noch 1.360 Jagdflugzeuge, von denen nur 908 einsatzklar sind! Die 8th USAAF leitet eine so genannte „Blitz-Woche“ ein. Das Ergebnis ist ein stolzer Verlust von 128 Viermotorigen, das entspricht einer Verlustrate von über 20%! Trotz dieses Aderlasses werden noch ehrgeizigere Pläne angesetzt.

Am 17. August 1943 wird die bis dahin größte Boeing B-17-Streitmacht auf den Weg gebracht (insgesamt 376 Boeing B-17-Bomber in zwei Angriffsformationen), um Schweinfurt und Regensburg zu bombardieren. Der erste Verband besteht aus 146 Bombern. Ihr Ziel sind die Messerschmittwerke in Regensburg. Die Deutschen, wohl wissend, dass die US-Begleitjäger so weit nicht mitfliegen können, warten, bis diese abdrehen.

Dann drehen sie selber zum Angriff ein. Die deutschen Jäger lassen den amerikanischen Besatzungen von nun an keine ruhige Minute mehr. Ganze Reihen von sechs Jagdflugzeugen jagen Tragfläche an Tragfläche aus allen Rohren feuernd durch die Bombergruppen. Andere greifen von vorne an – nach den Worten eines amerikanischen Bord-Navigators bilden sie „Schlangen wie bei der Essensausgabe“. Die „Sargecke“ des Verbandes wird von der 100th BG gebildet. Es ist der am weitesten hinten unten fliegende Pulk. Bald ist die Box auseinander gerissen, wie Wölfe stürzen sich die Jäger auf die versprengten Maschinen. 90 Minuten benötigen die viermotorigen Bomber von dem Moment, an welchem sie ihren Begleitschutz zurücklassen müssen, bis zum Ziel. Die gesamte Zeit über werden sie gehetzt. Der übel zugerichtete Rest entkommt plangemäß über die Alpen zu den alliierten Flugplätzen nach Nordafrika.

Der zweite Angriff auf die Kugellagerfabriken in Schweinfurt hätte fast gleichzeitig stattfinden sollen. Doch plötzlich einsetzender Nebel in England verhindert den Start der Bomber-Gruppen zum vorgesehenen Zeitpunkt. So sind die deutschen Jäger längst wieder aufgetankt und munitioniert, als die 230 „Fliegenden Festungen“ der zweiten Gruppe über dem Reichsgebiet einfliegen. Und diese Armada fliegt nach dem Angriff nicht nach Süden weiter, sondern muss sich den gesamten Weg über dem Feindesland wieder zurück nach England durchkämpfen. Die deutschen Jäger starten teilweise zum dritten Mal, um die Amerikaner beim Rückflug erneut in Empfang zu nehmen. Erst als die rettenden Thunderbolt-Jäger der Amerikaner über Holland und Belgien ihren schwer angeschlagenen Kameraden in den Boeing B-17 zu Hilfe eilen, lassen die Deutschen von den Bombern ab.

60 der Boeing B-17 werden abgeschossen – eine enorme Zahl und eine Verlustrate von 16% ! Weitere vier werden so schwer getroffen, dass sie nicht mehr reparabel sind. Mit ihnen ergeben sich 17% an Ausfällen. Zusätzlich sind 168 der Bomber getroffen, jedoch „erhaltungswürdig“ bei ihrer Rückkehr. Und drei P-47 Jägerpiloten bezahlen ihre „Hilfsbereitschaft“ mit dem Tode – samt Verlust der drei P-47 „Thunderbolts“, was sich auf 67 zerstörte Maschinen summiert. 559 Männer der Bombercrews kommen nicht oder leblos nach England zurück, 21 sind verwundet, eine fürchterliche Bilanz.

Die Deutschen verlieren 38 Jagdflugzeuge und 15 Piloten im Feuer der Bordschützen und der P-47-Eskorte. Weitere 22 Jagdflugzeuge erleiden Beschussschäden, 16 Flugzeugführer fallen vorerst durch Verwundung aus.

Am 14. Oktober 1943 ist abermals Schweinfurt das Ziel. Jetzt greifen die deutschen Jäger früher an, attackieren die US „Thunderbolt“- Begleitjäger und zwingen sie dadurch, ihre inzwischen verfügbaren, jedoch noch nicht weit genug reichenden Zusatztanks abzuwerfen – was dann ihre Flugdauer weiter reduziert. Danach ziehen sie sich zurück und warten, bis die Thunderbolts verfrüht abdrehen müssen. Der Aderlass der 320 Bomber beginnt. Als die Schlacht vorüber ist, sind erneut 60 der Boeing B-17-Kampfflugzeuge zerstört worden, sieben kehren irreparabel zerschossen zurück. Auch eine P-47 wird abgeschossen, weitere vier sind nach ihrer Rückkehr unbrauchbar. 72 Totalverluste also. Weitere 138 Boeing B-17 und zwei P-47 benötigen Reparaturen der erlittenen Schäden. 601 Männer der USAAF sind tot oder vermisst, 40 verwundet.

Die Deutschen büßen dieses Mal 34 ihrer Jagdflugzeuge ein und 16 gefallene Flugzeugführer. Hinzu kommen 29 beschädigte Maschinen und 13 Verwundete.

Boeing B-17-Verluste in dieser Höhe sind unerträglich und würden auf die Dauer die 8th USAAF der völligen Vernichtung preisgeben. Die US-Besatzungen haben das Gefühl, Selbstmordeinsätze zu fliegen. Den Kommandeuren der 8. US-Luftflotte bleibt nichts anderes übrig, als ihre Einsätze bei Tage ins Hinterland des deutschen Reichsgebietes hinein zähneknirschend abzubrechen. Es scheint, als hätten sich die deutschen Jagdflieger, hätte sich Görings Luftwaffe durchgesetzt und den Kampf um den deutschen Luftraum bei Tage für sich entschieden.

Die Notwendigkeit von amerikanischen Langstreckenbegleitjägern mit einer durch spezielle Konstruktion und verbesserte Zusatztanks ausreichenden Reichweite bis tief nach Deutschland hinein ist für die Bomberbesatzungen der „Fliegenden Festungen“ im Herbst des Jahres 1943 zu einer verzweifelten Frage des Überlebens geworden.

Ohne eigene US-Jagdflugzeuge, die auf dem gesamten Einsatzflug Schutz gewähren, sind die US-Ambitionen gescheitert.

Als sie nur Monate später verfügbar sind – vor allem in Gestalt des US-Langstrecken-Begleitjagdflugzeuges P-51 „Mustang“ und mit der Hilfe von technisch erheblich verbesserten Abwurftanks -, ist das Schicksal der deutschen Luftwaffe besiegelt.

Boeing-B-17-Chow-Hound
Boeing B-17 G (ab Sommer 1943 verfügbar). Hier eine B-17 G-15-BO der 322nd Bomb Squadron/91st Bomb Group, Seriennummer 42-31367. Diese Boeing B-17 wurde durch einen Volltreffer deutscher Flak am 8. August 1944 abgeschossen, es gab keine Überlebenden unter den neun Crewmitgliedern.

Die Amerikaner verlieren während des Zweiten Weltkrieges gegen Deutschland und seine Verbündeten 4.754 Boeing B-17 „Flying Fortress“-Bomber, 2.112 B-24 „Liberator“-Bomber, 2.201 P-51 „Mustang“-Jäger, 1.043 P-47 „Thunderbolt“-Jäger und 451 P-38 „Lightning“-Jäger, zusammen 10.561 Maschinen nur dieser fünf Typen alleine. Betrachtet man selektiv den berühmtesten US-Bomber, die „Flying Fortress“ der Boeing-Werke, so wurden 46.500 Boeing B-17-Besatzungsmitglieder im Einsatz getötet oder verwundet.

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