Luftangriffe 1945: Wieso ausgerechnet Dresden?

Opfer für den Sieg

Zunächst einmal gab es eine ganz klare Haltung im britischen Bomber Command der Royal Air Force, der sich aber durchaus auch die amerikanischen Offiziere der US Army Air Force (USAAF) anschlossen, was den Wert barocker Kunstschätze betrifft, wenn es um „höhere Ziele“ ging. Dies zeigte sich bereits bei der kompletten Vernichtung des altehrwürdigen Klosters Monte Cassino in Italien durch amerikanische Bomben, denen neben unzähligen zivilen Menschenleben auch vollkommen unersetzliche Kunstdenkmäler zum Opfer fielen. Auch in der deutschen Luftwaffe scheute man sich keineswegs, für den erhofften Sieg über Leichen und Trümmer jeglicher Art zu gehen. „Ich glaube nicht, dass der gesamte Rest der deutschen Städte die heilen Knochen auch nur eines britischen Soldaten aufwiegt!“, soll der Chef der britischen Bomberflotte, Luftmarschall (Air Chief Marshal) Arthur Harris, ungerührt nach dem Angriff auf Dresden gesagt haben, der ihm aber nicht wichtig gewesen war. Das britische Staatsoberhaupt Winston Churchill und die alliierten Stabschefs hatten ihn durchgesetzt.

Beweggründe aus britischer Sicht

Die offizielle britische Dokumentation zum sechzigsten Jahrestag des Bomber Command der Royal Air Force nennt die Beweggründe aus britischer Sicht. Dort ist nachzulesen:

„Das Luft(fahrt)ministerium hatte schon seit Monaten eine Serie besonders schwerer Luftangriffe gegen deutsche Städte erwogen mit Blick darauf, ein derartiges Chaos und eine solche fassungslose Bestürzung hervorzurufen, dass die hart bedrängte deutsche Kriegsmaschinerie und zivile Verwaltung zusammenbrechen würde und der Krieg damit beendet sei. Man gab dieser Operation den Namen „Tunderclap“ [„Donnerschlag“], doch man beschloss, diese Maßnahme so lange nicht durchzuführen, bis die militärische Situation für Deutschland ausgesprochen kritisch geworden sei. Dieser Moment schien nun gekommen zu sein. Sowjetische Truppen waren in der zweiten Januarhälfte rasch durch Polen vorgestoßen und hatten die östliche Grenze Deutschlands bereits überschritten. Die Deutschen kämpften nun also mit dem Rücken an der Wand auf ihrem eigenen Territorium, wobei die Lage im Osten besonders bedrohlich war.

Die Städte Berlin, Dresden, Leipzig und Chemnitz wurden als besonders geeignete Ziele angesehen. Sie lagen alle inzwischen nur noch kurz hinter der deutschen Frontlinie, besaßen wichtige Kommunikations- und Versorgungseinrichtungen und waren bereits vollgestopft mit deutschen Flüchtlingen und Verwundeten aus den jüngst von den Russen eroberten Gebieten. Neben den Überlegungen in Hinblick auf den deutschen Durchhaltewillen sollten die Angriffe auch ein Verlagern von Truppen aus der Westfront an die Ostfront verhindern, welche dem erfolgreichen russischen Vorstoß noch begegnen sollten. Das Luft(fahrt)ministerium erstellte Ende Januar 1945 eine entsprechende Direktive an das Bomber Command. Die offiziellen Unterlagen [siehe auch die Historiker Frankland und Webster] belegen, wie Winston Churchill höchstpersönlich die letztliche Planung der Operation Thunderclap in die Hand nahm – obwohl Churchill später nach dem Dresden-Raid versucht hat, sich davon zu distanzieren. Am 4. Februar 1945 baten die Sowjets während der Yalta-Konferenz zwar um derartige Luftangriffe, aber ihr Einfluss in den Vorgang kam erst, nachdem die Pläne bereits angeordnet waren.

Das Bomber Command war also konkret vom Luft(fahrt)ministerium auf Churchills Anregung hin angewiesen worden, schwere Bombenangriffe gegen Dresden, Chemnitz und Leipzig zu fliegen. Die Amerikaner wurden ebenfalls um Unterstützung gebeten und sagten diese zu. Die Aktion sollte mit einem amerikanischen Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945 beginnen, doch schlechtes Wetter über Europa verhinderte jegliche amerikanische Operationen. So lag es nun am Bomber Command, den ersten Schlag auszuführen.“

Die sowjetische Sichtweise des Angriffs

Was sagt die sowjetische Seite zu den späteren Vorwürfen, sie hätten den Angriff auf Dresden gefordert? Eindeutig ist, dass Winston Churchill dem sowjetischen Diktator Stalin Unterstützung zugesagt hatte. Allerdings in „weiser“ Voraussicht der kommenden Konfrontation des „kalten Krieges“ nicht ohne Hintergedanken. Später, wenn auch erst nach Ausbruch dieses ideologischen Konfliktes, stellten die Sowjets dann fest:

„Die Zerstörung Dresdens war nur ein Glied in der Kette der moralischen Einschüchterung der deutschen Bevölkerung und zugleich eine Demonstration gegenüber der Sowjetunion. Die Bombenangriffe entsprachen und entsprangen politischen Zielen der Westmächte, um vor der ganzen Welt ihre Macht zu beweisen. Dresden sollte als Lehrstück dienen, dem Hiroshima und Nagasaki folgten.“

Briefing für die Angriffe

Einem umstrittenen Buch des Autors Max Hastings, dessen Inhalt auf Grund der Kontroversen hier ausdrücklich keine Berücksichtigung findet, hat der Autor Franz Kurowski folgendes Zitat entnommen. Dieses ist dabei nach Kenntnis des Autors unbestritten, zumal es Hunderte an Zeugen geben muss.

Am Nachmittag werden die Besatzungen der britischen Bomber eingewiesen. Die Einweisung beginnt folgendermaßen:

Dresden ist die siebtgrößte Stadt Deutschlands und darüber hinaus die größte bisher noch nicht bombardierte Fläche Deutschlands. Die Stadt hat sich bis heute zu einem Industriezentrum von hervorragender Bedeutung entwickelt. Sie verfügt über ein umfassendes Netz an Telefon- und Eisenbahnverbindungen. Unsere Ziele bestehen darin, den Gegner an einer Stelle zu treffen, wo er es am meisten spürt: hinter einer sich bereits in Auflösung befindlichen Front, und auf diese Weise gleichzeitig den Russen zu demonstrieren, was das Bomber Command anrichten kann.“

Wie steht es da? „… und auf diese Weise gleichzeitig den Russen zu demonstrieren, was das Bomber Command anrichten kann.“ Jetzt kommen wir den Intentionen Winston Churchills näher. Immerhin wurde das sogar ausdrücklich den Crews der Lancaster-Bomber als Begründung genannt.

Analyse des Briefings

Die Aussagen in dem Briefing zur Produktionskapazität der Stadt entbehren allerdings jeglicher Grundlage. Dresden ein „Industriezentrum?“ Dresden besaß zwar Produktionsstätten, doch waren die meisten davon kleinere bis mittlere Betriebe, vor allem jene im Stadtgebiet. Sie hatten geringe kriegswichtige Bedeutung. Anders sieht es aus in Bezug auf die Zeiss-Ikon-Werke in Dresden-Striesen am Stadtrand und die beiden Sachsenwerke in Radeberg und Niedersedlitz. Doch diese wurden nicht einmal angegriffen und blieben daher völlig unbeschädigt. Kein einziger der immerhin 18 Bahnhöfe Dresdens lag im primären Zielgebiet des ersten britischen Luftangriffs der Bombennacht – allerdings komplett die historische Altstadt! Es ging den Briten offensichtlich schlicht nicht um Eisenbahnverbindungen, Telefonanlagen oder Industrieanlagen – sondern um die Menschen in Dresden. An denen man gewillt war, ein Exempel zu statuieren.

Unbeschreibliches Inferno – „optimierter“ Höllen-Mix

Die von britischen Experten, Pyrotechnikern, Feuerwehrleuten und Wissenschaftlern akribisch erforschte, gezielt eingesetzte Mixtur an Spreng- und Brandbomben und der bewusst erzeugte Feuersturm entfachte ein den Alliierten seit den Luftangriffen auf Hamburg im Sommer 1943 grundsätzlich bekanntes, inzwischen „optimiertes“ und daher nun endgültig unbeschreibliches Inferno. Die komplette kalt-berechnete Gefühllosigkeit, mit der dies geschah, ist auf eine Art menschenverachtend, die leider nicht beispiellos ist. Es gibt andere fürchterliche Zeugnisse von unvorstellbarer Gefühlskälte in dieser Zeit. Auch wenn sich in Anbetracht des Horrors jegliche Wertung verbietet, so muss doch gesehen werden, dass Skrupellosigkeit in dieser Hinsicht nicht nur auf eine Nation beschränkt war.

Dass die komplette Vernichtung ganzer Städte mitsamt ihrer Einwohner von Anbeginn auch aus Kalkül zur Demonstration der Stärke im Hinblick auf die Machtverteilung nach dem Krieg geplant war und somit keinesfalls nur militärische Intentionen hatte, geht unter anderem aus einer Rede hervor, die bereits Mitte 1944 bei der erstmaligen Planung der Operation „Thunderclap“ gehalten wurde. Damals war vor allem Berlin das Ziel, später aber auch beispielsweise Dresden, Chemnitz, Nordhausen und Leipzig. Die deutsche Hauptstadt wurde dann auch wiederholt von der Royal Air Force und der 8. USAAF angegriffen, besonders verheerend am 3. Februar 1945, 26. Februar 1945 und 18. März 1945 durch amerikanische Bomber.

Sidney Bufton, britischer Director for Bomber Operations, sagte über die Absicht von „Thunderclap“ am 15. August 1944:

„[…] Es wird vorgeschlagen, dass eine spektakuläre und endgültige Lektion für das deutsche Volk über die Folgen universeller Aggression in der Nachkriegszeit von bleibendem Wert wäre.

[…] Der Angriff muss in einer solchen Dichte ausgeführt werden, dass er für den Einzelnen in dem Gebiet, auf das er angewendet wird, ein soweit als möglich 100%iges Todesrisiko darstellt. […] Das Gesamtgewicht des Angriffs muss so sein, dass er eine Wirkung hat, die einer nationalen Katastrophe gleichkommt. Es muss ein Ziel gewählt werden, das für die gesamte Bevölkerung ein Maximum an traditionellen und persönlichen Assoziationen mit sich bringt. Erwägungen der wirtschaftlichen Zerstörung dürfen die Auswahl des Ziels nicht beeinflussen.

[…] Das Ziel sollte eines sein, das ein Höchstmaß an traditionellen und persönlichen Assoziationen für das deutsche Volk als Ganzes besitzt. Das Verwaltungs- und Regierungszentrum Berlin erfüllt diese Bedingungen am besten. […] Die Bevölkerungszahl in diesem Gebiet ist extrem hoch. […] Würde ein Angriff in der vorgesehenen Größenordnung auf die zweieinhalb Quadratmeilen Berlins zielgenau ausgeführt […], so würde die gesamte Bevölkerung des Großraums Berlin Zeuge dieses Angriffs werden und der unmittelbaren Gefahr einer ähnlichen Katastrophe ausgesetzt sein.

[…] Es würde unsere russischen Verbündeten und die Neutralen von der Wirksamkeit der anglo-amerikanischen Luftmacht überzeugen. Wenn alliierte Streitkräfte Gelegenheit hätten, Berlin zu besetzen oder neutrale Vertreter, Berlin zu besuchen, würden sie ein lange anhaltendes Mahnmal für die Wirkungen vorfinden, die das strategische Bombardement in diesem Krieg bewirkt hat und jederzeit wieder entfalten könnte.”

Quelle: Lukas Willmy – Operation Donnerschlag: Imperiale Aufstandsbekämpfung aus der Luft und das „Morale Bombing“ deutscher Städte durch die ROYAL AIR FORCE 1945. Seiten 410 / 375 / 376 / 388.

Dresden_1945-1

Winston Churchill, seit 10. Mai 1940 Kriegs-Premier Großbritanniens, hatte im Jahr 1932 in seinem Buch „Thoughts and adventures“ folgende Überlegungen in Bezug auf den vergangenen Ersten Weltkrieg angestellt:

„Alles, was in den vier Jahren des [Ersten] Weltkrieges geschah, war nur ein Vorspiel zu dem, was sich für das fünfte Jahr vorbereitete. Die Schlacht des Jahres 1919 hätte ein riesiges Anwachsen der zerstörenden Kräfte gesehen. Hätten die Deutschen die Moral bewahrt, sich geordnet an den Rhein zurückzuziehen, sie wären im Sommer des Jahres 1919 mit Kräften und Methoden angegriffen worden, die unvergleichlich fürchterlicher gewesen wären als alle je eingesetzten. Tausende von Flugzeugen hätten ihre Städte in Trümmer gelegt. Abertausende Kanonen hätten ihre Front pulverisiert. […] Die Schlacht von 1919 wurde nie geschlagen, aber ihre Ideen leben weiter. […] Der Tod steht in Bereitschaft. […] Er wartet nur auf das befehlende Wort. […] Das nächste Mal mag man darum wetteifern, Frauen und Kinder oder die Zivilbevölkerung überhaupt zu töten, und die Siegesgöttin wird sich zuletzt jämmerlich mit demjenigen dienstbeflissenen Helden vermählen, der dies in gewaltigstem Ausmaß zu organisieren versteht.“

Im Jahr 1932 gesagt. Im Jahr 1945 getan.

Mindestens 570.000, vielleicht bis zu 1.000.000 Wehrlose haben im Zuge der gesamten „morale bombing campaign“ der Royal Air Force und später auch der USAAF jene „Ideen“ mit dem Leben bezahlt.

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